Clemens Wilmenrod wollte Freidenkern ein Denkmal setzen
Literarisches Vermächtnis des einstigen Westerwälder TV-Kochs nach fast acht Jahrzenten erstmals als Buch veröffentlicht
Mehr als ein dreiviertel Jahrhundert lang schlummerte das verschollen geglaubte Manuskript zu „Ohne mich“ im Nachlass des Westerwälder Fernsehkochs Clemens Wilmenrod, bis es der Journalist Michael Wenzel, der unter dem Pseudonym Michael W. Caden als Autor auch Bücher verfasst, vor einigen Jahren eher zufällig bei der Großnichte des TV-Kochs entdeckte, es in der Folgezeit aus dem Sütterlin
übersetzte und überarbeitete. Dass der handgeschriebene und mehr als 1000 Seiten umfassende Buchentwurf 77 Jahre nach seiner Fertigstellung im Buchhandel erhältlich ist, dürfte sicherlich nicht nur im Westerwald für einiges Aufsehen sorgen.
Zu Lebzeiten hat der erste deutsche Fernsehkoch Clemens Wilmenrod sein Buchmanuskript, das er 1947 begann und am 8. Dezember 1948 in Wiesbaden beendete, nie veröffentlicht. Als er noch ein mehr oder weniger unbekannter Theaterschauspieler war, hatte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kein Verleger für solch ein Thema interessiert. Zwölf Verleger hätten »in Fiebernächten die Skriptseiten regelrecht gefressen«, stellte er einmal, selbstbewusst wie er war, augenzwinkernd fest, doch keiner habe auch nur annähernd den Mut besessen, es zu publizieren.
Clemens Wilmenrod (Foto: Privat)
Warum wohl nicht? „Nun, den verlorenen Krieg wollte man auch in der Verlagswelt so schnell wie möglich hinter sich lassen. Warum sich also mit dem Ballast der Vergangenheit beschweren?“, hinterfragt Autor Michael W. Caden. „Deutschland musste aus den Trümmern neu erwachsen. Dem galt alle Kraftanstrengung, ein Antikriegsbuch, in dem der Autor mit Hitlerismus und Militarismus abrechnet, wer wollte das nach den Jahren der Entbehrung und des Elends lesen? Schwarzwaldmädels und Heimat waren gefragt, nicht zertrümmerte Städte und desillusionierte Wehrmachtsoldaten.“
„Deutschland wollte den verlorenen Krieg hinter sich lassen, wollte nicht zurückschauen, sondern den Blick nach vorne in die Zukunft richten. Doch das eine geht nicht ohne das andere. Und dieses Buch, wäre es in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre tatsächlich veröffentlicht worden, hätte, was die geschichtliche Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus betrifft, durchaus seinen Beitrag dazu leisten können“, ist sich Caden sicher. „Ich maße mir nie und nimmer an, zu glauben, dass mein Schicksal etwas Ungewöhnliches war. Oh nein, es hat Millionen gegeben, die tausend- und abertausendmal Schrecklicheres erlebt hatten“, schreibt Wilmenrod nach dem Krieg. Aber er glaube, dass sein Schicksal insofern etwas Besonderes war, als dass es sich vor dem Ende des Krieges so komprimiert in einer doch sehr kurzen Zeit von 111 Tagen abspielte. In der hohen Komprimierung der Ereignisse innerhalb dieser kurzen Zeit sah er etwas Ungewöhnliches. Geschrieben habe er das Manuskript in den Jahren von 1947 und 1948, „um den ewig und wehrhaft Freien im Geiste ein Denkmal zu setzen“.
Autor Michel W. Caden - Journalist Michael Wenzel aus Kaden (Foto: Privat)
„Als prominenter TV-Koch hatte Wilmenrod später sicherlich das Geld und die notwendigen Kontakte für eine Veröffentlichung besessen, doch dürfte sein Interesse an einer Publikation des Manuskripts nunmehr gering gewesen sein, da die Erlebnisse und Lebensweisheiten eines eingefleischten Pazifisten und Militarismusgegners aus Sicht eines bundesrepublikanischen TV-Lieblings möglicherweise so ganz und gar nicht mehr mit seinem Promi-Image vereinbar waren“, ist sich Autor Michel W. Caden sicher. Möglicherweise hätte eine Publikation nach 1953 der Kunst- und Kultfigur Wilmenrod Schaden zufügen können. Zumindest dürfte aus seiner Sicht diese konkrete Gefahr bestanden haben.
Das Manuskript zu „Ohne mich“ hat Wilmenrod in den 1947/48 niedergeschrieben. Für ihn, so sagt er, habe sich, seitdem er als Junge mit preußischen Ulanen auf dem elterlichen Mühlenhof in Berührung kam, zeitlebens das bestätigt, wofür er, was er vermutete, die Verachtung aller »Patrioten« einheimsen würde: Es sei für einen freiheitsliebenden Menschen ein persönliches Unglück, in Deutschland geboren zu sein. Dieser Makel hafte ihm ein ganzes Leben an, so, »als sei er mit nur einer Hand zur Welt gekommen«.
So kam es, dass dieses Manuskript, eine Anklage gegen den Krieg und den preußischen Militarismus, fast acht Jahrzehnte in einem Nachlasskarton schlummerte, bevor es dort herausgenommen werden konnte, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Buch zeigt einen Clemens Wilmenrod weit ab der Kunstfigur des Fernsehkoches, die er und andere nach dem Erfolg seiner Kochserie ab 1953 bedienten, es skizziert einen pazifistischen Schauspieler, dem jegliche Form von Militarismus abgrundtief verhasst ist, einen Freidenker, der in den letzten Tagen der Nazi-Diktatur alles Menschenerdenkliche versucht, um nicht als Opfer auf Hitlers Schlachtbank geführt zu werden. Er will nur eines, und dafür setzt er auch seine komödiantischen Talente ein: Er will überleben …
Ohne mich: Die 111 Tage in Hitlers Kriegsmaschinerie als Taschenbuch
Clemens Wilmenrod, der erste deutsche TV-Koch aus dem Westerwald, wird in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges nach Schließung der deutschen Theater von der Bühne hinweg zur Wehrmacht einberufen. Er versucht zunächst mit schauspielerischer Raffinesse alles Erdenkliche, um sich als Pazifist dem Kriegsdienst zu entziehen. Schließlich wird er nach einer Grundausbildung im Schnellverfahren gemeinsam mit 16- und 17-jährigen Jugendlichen an die Front geworfen...
Michael W. Caden:
Clemens Wilmenrod – Ohne mich
Herausgeber: epubli
Taschenbuch : 498 Seiten
ISBN: 978-3-7598-6964-7